Mittwoch, 15. Juni 2011 Importiert Russland lieber moderne chinesische Autos?
Gestressten Menschen kommt es vor, als eile die Zeit. Dabei dreht sich keine Uhr schneller. Einen ganz anderen Eindruck vermitteln russische Pkw-Hersteller. Sie scheinen die Zeit anhalten zu wollen mit ihren Modellen, an denen lediglich ansatzweise Zeichen automobilen Fortschritts zu entdecken sind, der vergleichsweise beeindruckend große Sprünge macht. Bislang jedenfalls löste sich die einheimische russische Pkw-Branche nicht wirklich auffällig von Vorgaben, nach denen Autos zu Zeiten des Sowjetimperiums entworfen und gebaut wurden.
Immer dann, wenn mir heute irgendwo ein offensichtlich fabrikneuer Lada Niva begegnet, werde ich an den einen oder anderen Lada-Testwagen erinnert, mit dem ich mich in der DDR beschäftigte. Das ist lange her. Offenbar aber fällt einem Lada auch heute noch die Rolle zu, die aktuelle sowjetische Automobiltechnik zu interpretieren. Der derzeit in den Medien beworbene „neue“ Allradler Lada Niva ist in Wahrheit ein uralter Bekannter.
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Was hat sich geändert? – Seine spärlichen 82 PS, die von einem 1,7-Liter-Benziner erarbeitet werden, schlagen bei der zweitürigen Ausgabe der russischen Niva-„Neuauflage“ (ab 9.300 Euro) mit einem durchschnittlichen Kraftstoffverbrauch von acht Litern pro 100 Kilometer zu Buche. Bei innerstädtischem Einsatz werden daraus 12,2 Liter. Schon allein deshalb ist eine Auszeichnung als „Auto des Jahres“ wohl eher nicht zu erwarten.
Die Orientierungen des russischen Automobilbaus zeigen ein befremdliches Beharrungsvermögen. Wettbewerbsgedanken kommen offenbar nicht auf. Noch immer laufen Modelle im Prinzip so vom Band, wie sie vor Jahrzehnten konzipiert wurden. Innovative Technologien, hinreißendes Design – Fehlanzeige bei Autos russischer Prägung. Und so regeln sich die Marktchancen der in all ihren Erscheinungsformen unaufregenden russischtypischen Pkw-Modelle allein über den Preis. Schleichend wird allerdings selbst ein schlichter Lada teurer – trotz Massenfertigung in Russland, die von Montagewerken in der Ukraine, in Kasachstan, Ägypten und Ecuador ergänzt wird.
Überraschendes gibt es ab und zu durchaus. So etwas erlebte das Lada-Werk im Sommer vergangenen Jahres. Als Folge der von der russischen Regierung ausgesetzten Verschrottungsprämie für mindestens zehn Jahre alte Autos (50.000 Rubel, etwa 1.300 Euro) wurde AwtoWAS plötzlich mit Lada-Bestellungen bombardiert. Mit dem jäh einsetzenden Nachfragehoch kamen die Zulieferer nicht mit; halbfertige Autos stauten sich auf dem Werksgelände. Bei AwtoWAS allerdings kein Grund für Panik. Entsprechenden Ärger kannte man aus planwirtschaftlichen Zeiten. Auch da kamen immer mal wieder – sozusagen planmäßig – Teile nicht rechtzeitig dort an, wo sie gebraucht wurden.
Chinesische Automarken ticken da ganz anders. Sie machen keinen Hehl daraus, über kurz oder lang den Wettbewerb mit traditionellen Autoherstellern aufnehmen und absolut weltmarktfähige Autos, vor allem Pkws, selbst entwickeln und bauen zu wollen. Mag’s derzeitig auch noch so scheinen, als eile die erklärte Absicht der Chinesen dem Machbaren um viele Jahre voraus – wer weiß, vielleicht fahren die Russen eines Tages tatsächlich mit Begeisterung auf Pkws chinesischer Produktion ab!
Erst einmal ist den Chinesen aber ein erfolgreiches Abschneiden beim internationalen Schlagabtausch in der Disziplin „Elektrische Automobilität“ wichtig. Schlecht sind ihre Startbedingungen nicht. Mit elektrisch angetriebenen Zweiradfahrzeugen haben sie bereits jahrelang Erfahrungen gesammelt. Das könnte sich jetzt auszahlen.
Hoffentlich hat die internationale Autobranche mittlerweile verinnerlicht, wie wichtig es ist, die Rechnung mit dem Ehrgeiz, dem Lerneifer und Können, aber auch mit der List der Chinesen und möglichen Folgen zu machen. Dass es letztlich die Investoren und Joint-Venture-Partner sind, die den künftigen Konkurrenten in deren eigenem Land beibringen, wie man erfolgreiche Autos baut, dürfte ein wenig vergnüglicher Gedankengang sein. Beunruhigen könnte auch die Vorstellung, dass den Ausgang eines jeden unternehmerischen Engagements in China von der Obrigkeit in Peking maßgeblich mitbestimmt wird. Im Blick hat die KPCh ganz sicher nicht zuerst anhaltendes Wohlergehen ausländischer Investoren. Die Partei, die nicht erkennen lässt, als wolle sie die Zügel zur Orientierung des Landes aus der Hand geben, denkt längst ans Übermorgen, sieht China schon als weltgrößte Wirtschaftsmacht in allen Bereichen an der Spitze. Wie dementsprechende Strategien schrittweise verfolgt werden, lässt sich auch vom anhaltenden Aufkauf namhafter Unternehmen und Marken ablesen, bei dem der Preis keine Rolle zu spielen scheint.
Die chinesische Führung wird Vorstellungen dazu haben, seit dieses wohl einmalige Spiel im Gang ist. In die Karten gucken lassen sich aber auch Parteifunktionäre nicht. Mit der einen oder anderen Überraschung muss jedenfalls gerechnet werden. (Auto-Reporter.NET/Wolfram Riedel)
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