Wahrscheinlich könnte dieser Avant sogar noch schneller fahren, denn schon bei den ersten Kilometern auf dem Rennkurs Paul Ricard bei Marseille stellt sich der leider falsche Eindruck, dieser Motor sei so stark, dass Luftwiderstand beim RS6 keine Rolle spielt. 580 PS schafft der V-10-Alumotor zwischen 6250 und 6700 U/min. Sein maximales Drehmoment von 650 Nm entwickelt er dank seiner beiden Turbolader schon ab 1500 bis hinauf zu 6250 U/min. An Schub fehlt es also nie, wenn sich der Zweitonner ins Zeug legt. Zwischen dem Brummen bei niedrigen Drehzahlen bis hin zum Brüllen bei voller Beschleunigung lässt er weder seine Insassen noch seine Umwelt im Unklaren über seine Potenz. Doch der Zehnzylinder, den man in einer anderen Abstimmung mit 530 PS bereits aus dem Lamborghini Gallardo kennt, lässt den Audi nicht etwa zu einem Rennbiest werden. Sein permanenter Allradantrieb, der jeweils mehr Kraft an die Hinterachse liefert, seine sechsstufige Tiptronic, sein ESP mit Sportschaltung, sein elektronische Differentialsperre, seine geschwindigkeitsabhängige Servolenkung, die 19-Zoll-Räder mit 255/40-Reifen - sie alle sorgen zusammen mit einer straffen, aber wahrlich nicht unkomfortablen Fahrwerksabstimmung für ein unglaublich souveränes Fahren auch bei hohen Geschwindigkeiten. Es gigt wenig Fahrzeuge, die sich ähnlich gelassen über einen Rennkurs treiben lassen. Und zum Schluss wundert man sich über die guten Rundenzeiten. Nun wurde der RS6 nicht für die Rennstrecke gebaut. Aber es war lehrreich, ihn und die Leistungsbereitschaft seines Antriebs einmal dort zu erleben. Umso lieber nimmt man sich auf der Landstrasse zurück und geniesst sein Leben im Kombi mit viel Lebens- und Laderraum in einem sportlich-eleganten Umfeld, gestaltet mit der für die Ingolstädter üblichen Zurückhaltung. Das neue, unten abgeflachte Lenkrad und die Sportsitze lassen ebenfalls keine Wünsche offen. So kann man in Ruhe die erstaunten Blicke der anderen Autofahrer geniessen, die sich an der überarbeiteten Front mit den riesigen Einlässen, die Hunger nach Luft für die Turbolader und die Notwendigkeit von kräftiger Kühlung von Ladeluft, Motor und Bremsen zeigen. Ebenso auffällig sind die Verbreiterungen der Radkästen vorn und hinten nach dem Muster des Ur-Quattro. Am bulligen Kombiheck lassen die Diffusoreinsätze, die beiden ovalen Auspuffendrohre und der Schriftzug keinen Zweifel mehr an der Leistungsklasse, in dem sich dieser Kombi bewegt. Dann ist endgültig Schluss mit dem Versuch, den anderen einen gewöhnlichen Kombi vorzugaukeln. Tiefstapeln ist nie ein billiges Vergnügen. Bei Audi kostet der RS6 Avant 106'900 Euro plus ein bisschen fürs Aufpreispflichtige. Relativ bescheidene 14 Liter Super Plus verbraucht der RS6 nach der EU-Norm im Schnitt unter anderem wegen seiner Benzindirekteinspritzung. Auf der Rennstrecke und bei schnellen Etappen darf’s natürlich ein Schluck mehr aus dem 80-Liter-Tank sein. Seine Leistungsklasse, sein Verbrauch und die 333 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer werden dem RS6 sein Leben nicht gerade erleichtern. Aber schon seine Vorgänger hatten einen festen Freundeskreis. Für die Umwelt oder das Klima sind irrelevant. Deswegen darf man sie lieben.
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